Die Zukunft der energieintensiven Industrien in Deutschland

Die Zukunft der energieintensiven Industrien in Deutschland

Die Implikationen langfristiger Energiekostenunterschiede auf die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien in Deutschland stehen im Zentrum der Analysen, die Frontier Economics gemeinsam mit IW Consult im Auftrag des Dezernat Zukunft erstellt hat.

Der Endbericht wurde am 30. August veröffentlicht.

Die Studie besteht aus zwei zentralen Analyseschritten:

  • Gegenstand des ersten Schritts ist die Analyse internationaler Energiekosten und der Vergleich einer zukünftigen Herstellung industrieller Grundstoffe (Stahl, Aluminium, Ammoniak, HVC) in Deutschland mit den Energie- und Transportkosten eines Imports ausländischer Produkte, bzw. Vorprodukte (Lead: Frontier Economics).
  • In einem zweiten Schritt hat IW Consult die potenziellen Auswirkungen der betrachteten Energiekostenunterschiede auf die industriellen Wertschöpfungsketten in Deutschland sowie die Kaufentscheidungen von Downstream-Abnehmern analysiert.

Komparative Energie- und Transportkostenanalyse in der Produktion energieintensiver Grundstoffe

Betrachten wir die Gestehungs- und Transportkosten erneuerbarer Energien im internationalen Vergleich, können wir folgende Erkenntnisse festhalten:

  • Deutschland wird auch langfristig Energiekostennachteile gegenüber anderen Industriestandorten haben. Volatile Gestehungskosten (LCOE/LCOH) werden in Deutschland im Jahr 2045 deutlich über den Kosten in den betrachteten Vergleichsländern liegen. Die klimaneutrale Herstellung industrieller Grundstoffe verlangt jedoch eine relativ konstante Energiezuführung. Saisonalität und Speicherkosten müssen deshalb berücksichtigt werden. Deutschland steht hier dank bestehender Speicherinfrastrukturen gut da, doch die Nachteile niedrigerer Volllaststunden der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gegenüber Vergleichsländern überwiegen.
  • Zudem bestehen in Deutschland hohe Opportunitätskosten für Energie. Begrenzte erneuerbare Erzeugungspotenziale und hoher Energiebedarf sorgen dafür, dass die Opportunitätskosten für die Verwendung der Energie in Deutschland zukünftig voraussichtlich höher sein werden als in anderen (für einen Energieexport in Frage kommenden) Ländern. Dies bedeutet, dass die Kostennachteile der energieintensiven Industrie womöglich noch höher ausfallen können, als es die reinen Energiegestehungskosten implizieren.
  • Transportkosten haben einen wesentlichen Einfluss auf die deutschen Wasserstoff-Importkosten. Der Transport via Pipeline (z.B. aus Norwegen, Spanien oder Marokko) ist wesentlich günstiger als mit dem Schiff. Der Schiffstransport ist kaum sensibel gegenüber der Transportdistanz, Kosten entstehen vor allem durch Umwandlungsschritte. Bei Nutzung von purem Wasserstoff in Deutschland sind Schiffsimporte deshalb teurer als Pipeline-Importe. Das ändert sich bei direkter Nutzung von Wasserstoff-Derivaten, die mit dem Schiff besser transportierbar sind und nicht mehr umgewandelt werden müssen (z.B. Ammoniak oder Methanol).

Betrachten wir verschiedene Verlagerungsszenarien für die Wertschöpfungsketten der Primärerzeugung der Grundstoffe Aluminium, High-Value-Chemicals (Olefine), Ammoniak und Stahl, stellen wir fest, dass der Kostenvorteil des Auslands mit zunehmender Verlagerung der Wertschöpfungsschritte steigt (siehe Abbildung 1):

  • Der Import von Wasserstoff zur industriellen Nutzung in Deutschland ist fast immer die teuerste betrachtete Variante (mit Ausnahme von Pipeline-Import aus Norwegen). Mit zunehmendem Import von Zwischen- bzw. Endprodukten anstatt des Imports von Energie sinken die gesamten Energiekosten. Die gesamte Auslagerung der Wertschöpfung ist jeweils mit den größten Energiekostenvorteilen verbunden.
  • Die inkrementellen Energiekosteneinsparungen nehmen entlang der vertikalen Wertschöpfungskette ab, d.h. sie sind bei einer Verlagerung der letzten Produktionsschritte geringer als bei einer Verlagerung der vorangegangen Produktionsschritte bzw. Zwischenschritte. Dadurch ergibt sich jeweils eine potenzielle „Sollbruchstelle“ (Verlagerung der Wertschöpfungskette) nach der ersten Wertschöpfungsstufe: Bei Import eines Zwischenprodukts (z. B. Eisenschwamm) hätte Deutschland bezüglich Kosten des letzten Produktionsschritts nur noch einen geringeren Kostennachteil gegenüber dem Import eines „fertigen“ Grundstoffs (z. B. Rohstahl).

Abbildung 1:  Energie- und transportbedingte Kosten industrieller Grundstoffe im Jahr 2045

Strategische Anpassungsreaktionen betroffener Unternehmen

Um die Bedeutung langfristiger Preisunterschiede aus Sicht nachgelagerter Wirtschaftszweige zu bewerten, hat IW Consult im Rahmen der Studie Interviews mit Unternehmen aus Fokusbranchen durchgeführt, deren Vorleistungen besonders viele der betrachteten Grundstoffe enthalten – mit folgenden zentralen Ergebnissen:

  • In den meisten Wirtschaftszweigen übersteigen indirekte Energiekosten, d.h. in energieintensiven Vorleistungen inbegriffene Energiekosten, die direkten Energiekosten.
  • Die inländische Nachfrage nach Grundstoffen wird empfindlich auf strukturelle Preisunterschiede zwischen im Inland und im Ausland hergestellten Rohstoffen reagieren.
  • Bei erheblichen Preiserhöhungen würde der Anteil der Abnehmerbranchen, die eine Verlagerung ins Ausland oder eine Geschäftsaufgabe in Betracht ziehen, steigen. Die Umfrageergebnisse legen nahe, dass aus Sicht der Verbraucher die inländische Produktion bei erheblichen und extremen Preisunterschieden für Rohstoffe teilweise nicht mehr rentabel wäre.
  • Ohne Gegenmaßnahmen und isoliert betrachtet droht der deutschen Wirtschaft so ein Wohlfahrtsverlust von 1,7 bis 4,5 Prozent über zehn bis 15 Jahre. 1,7 Millionen Arbeitsplätze sind bedroht, vor allem in weiterverarbeitenden Branchen.
Studie - Die Zukunft energieintensiver Industrien in Deutschland