Kombinierter Kapazitätsmarkt – Eine gute Idee?

Ein Debattenbeitrag zum BMWK-Konzeptpapier erstellt von Consentec, r2b und dem Öko-Institut

Am 2. August hat sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in einem Optionenpapier für einen Kombinierten Kapazitätsmarkt (KKM) ausgesprochen. Das KKM-Konzept wird in einem Kurzpapier von Consentec, r2b und dem Öko-Institut beschrieben.

In diesem Debattenbeitrag stellen wir heraus, dass die Idee der Kombination von Elementen des zentralen und dezentralen Kapazitätsmarkt im Grundsatz zwar charmant erscheint, sich allerdings aus ökonomischer Sicht fundamentale Fragen der Funktionsfähigkeit und Effizienz stellen.

Das Konzept des Kombinierten Kapazitätsmarktes (KKM)

Der KKM besteht aus zwei Komponenten (siehe Abbildung 1):

■ Zentrales Segment (KKM-Z): In zeitlich vorgelagerten, zentral organisierten Ausschreibungen werden die für eine sichere Stromversorgung erforderlichen neuen, zusätzlichen Kapazitäten ausgeschrieben. Erfolgreiche Kapazitätsanbieter, wie z.B. Kraftwerksbetreiber, erhalten im Rahmen langfristiger Verträge von z.B. 15 Jahren Laufzeit feste Kapazitätszahlungen, welche die Erlöse der Anbieter aus dem Stromverkauf im Energiemarkt komplementieren. Im Gegenzug müssen die bezuschlagten Kapazitäten in bestimmten Auslegungszeiträumen verfügbar sein. Die
Zahlungen an die Kapazitätsanbieter werden durch eine Umlage auf Stromverbraucher finanziert. Die Kapazitäten werden von einer staatlichen Institution in den KKM-D
eingebracht, die hierdurch erzielten Erlöse senken die Höhe der Umlage. Zudem werden ebenfalls zur Refinanzierung sowie zur Vermeidung von Überförderung Knappheitsrenten
der geförderten Kapazitäten am Strommarkt durch eine verpflichtende Reliability Option abgeschöpft.
Dezentrales Segment (KKM-D): Dieses Segment basiert auf der Verpflichtung der Lieferanten als Bilanzkreisverantwortliche (BKV), sich für Spitzenlastsituationen mit Kapazitätszertifikaten in der Höhe ihres Beitrags zur Systemspitzenlast einzudecken. Diese Verpflichtung kann durch Zertifikatszukauf von Kapazitätsanbietern, durch eigene Stromproduktion oder durch Reduktion des Stromverbrauchs während der
Systemspitzenlast bzw. der Systemspitzenresiduallast erbracht werden
(„Selbsterfüllung“)

Abbildung 1 Zeitliche Abfolge des KKM

Motivation des Konzepts

Die Grundidee des KKM besteht in dem Versuch, die Vorteile eines zentralen und eines dezentralen Kapazitätsmechanismus zu verbinden:
■ Im Rahmen des dezentralen Segments sollen dezentrale Flexibilitätsoptionen optimal eingebunden und das vor Ort vorhandene Wissen über die Entwicklung der Nachfrage
genutzt werden, um den KKM innovationsoffen und anpassungsfähig an die unsicheren Entwicklungen der Energiewende zu machen. Zudem soll die dezentrale
Zertifikatsbeschaffung die zur Finanzierung der zentralen Kapazitätszahlungen notwendigen Umlage senken.
■ Da Kapazitätszertifikate im dezentralen Segment jedoch nur mit geringen Vorlaufzeiten von maximal drei Jahren liquide gehandelt werden, sollen zur Sicherstellung der notwendigen Investitionssicherheit für kapitalintensive Neubauten im Rahmen des zentralen Elements Langfristverträge mit 15-jährigen Laufzeiten von einer staatlichen Stelle vergeben werden

Fragen zur Funktionsfähigkeit und Effizienz eines KKM

Eine Vereinigung der jeweiligen Vorteile der beiden Mechanismen erscheint auf den ersten Blick charmant. Allerdings stellen sich – zusätzlich zu einer Vielzahl von (in diesem Debattenbeitrag nicht thematisierten) noch offenen Ausgestaltungsfragen – bei genauer Betrachtung aus ökonomischer Sicht einige fundamentale Fragen zur Funktionsfähigkeit und Effizienz eines solchen Konzepts. Diese sollten geprüft und diskutiert werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich beim KKM um ein neues, im Ausland in dieser Form noch nicht erprobtes Instrument handelt.

Nachfolgend führen wir exemplarisch einige Fragen auf:

Landen nicht letztlich alle Kapazitäten im KKM-Z („slippery slope“)? Es ist davon auszugehen, dass (nahezu) alle neuen steuerbaren Stromerzeugungsanlagen über die zentralen Auktionen des KKM-Z beanreizt werden. Der Anteil der Anlagen mit langfristigen Kapazitätsverträgen nimmt daher absehbar im Verlauf immer weiter zu, der Anteil der Anlagen, die ausschließlich im dezentralen Segment aktiv sind, weiter ab. Letztlich verbleiben allenfalls Bestandanlagen im Anschluss an die Vertragslaufzeit (von z.B. 15 Jahren) ausschließlich im KKM-D, und selbst hier stellt sich die Frage, ob diese Anlagen nicht auch wieder längerfristige Kapazitätsverträge im Rahmen des KKM-Z erfordern, um z.B. Retrofit-Investitionen finanzieren zu können. Insofern läuft es auf einen Mechanismus hinaus, in welchem die im KKM-Z von zentraler Institution ersteigerten Zertifikate in den dezentralen Markt gegeben werden, aber keine/kaum weitere Zertifikate im KKM-D generiert werden.
Ist mit oszillierenden (Extrem-)Preisen im KKM-D zu rechnen? Der KKM setzt auf einen Zertifikathandel, in dem Angebot und Nachfrage höchst unterschiedlich determiniert
werden: Während die Nachfrage nach Zertifikaten kurzfristig (sogar ex-post) aus den Verpflichtungen für BKV ergibt und hohen jährlichen Schwankungen unterliegt, wird das Angebot durch die langen Vorlaufzeiten des KKM-Z langfristig determiniert. Die Höhe der langfristig festgelegten Neubaubedarfsmenge im KKM-Z hat allerdings erhebliche
Rückwirkungen auf die erzielbaren Preisen im Energiemarkt und den Zertifikatspreisen im KKM-D. Hierdurch könnten Zertifikatspreisen im KKM-D zwischen zwei Extremen
oszillieren:
□ Wurde im vorgelagerten KKM-Z ein hoher Kapazitätswert angesetzt, könnte der Zertifikatspreis im KKM-D bei überschüssiger Kapazität nahe Null liegen. Dann
ist die Versorgungssicherheit gewährleistet, allerdings kommen kaum dezentrale Flexibilitätsoptionen zum Zuge. Zudem beschleunigt sich der o.g. Prozess der Verlagerung in den KKM-Z, da geringe Preise im Energiemarkt und geringe
Zertifikatspreise zu Stilllegungen von Anlagen außerhalb des KKM-Z führen, wodurch mittelfristig Bedarf für eine zusätzliche Finanzierung von (Re-)Investitionen durch den
KKM-Z entsteht.

□ Wurde im KKM-Z ein geringer Kapazitätswert angesetzt, könnten im KKM-D Preisspitzen bis zu den hohen Kosten von den noch kurzfristig realisierbaren Backstop-Technologien (z.B. temporäre Produktionsunterbrechung) steigen.
Die Lenkungswirkungen solcher Preisschwankungen wären jedoch absehbar begrenzt. Zudem ist davon auszugehen, dass sich analoge Preisentwicklungen auch im Spotmarkt
ergeben werden – auch hier wird bei Kapazitätsengpässen mit Knappheitspreisen zu rechnen sein, so dass der Mehrwert eines weiteren Knappheitssignals an einem dezentralen Kapazitätsmarkt unklar bleibt.
Worin besteht der Mehrwert des KKM-D gegenüber dem bestehenden Ausgleichsenergiesystem? Der KKM-D beruht auf der Verpflichtung der BKV, eine Kapazitätsabsicherung für gelieferte Strommengen nachzuweisen. Eine ähnliche Prüfung erfolgt bereits heute im Rahmen des bestehenden Ausgleichsenergiesystems, hier allerdings direkt nach Lieferung und nicht wie im KKM-D erst am Jahresende. Wie von den Autoren selbst festgestellt, setzt bereits das heutige System starke finanzielle Anreize für BKV, eine ausreichende Strommenge für ihren Bilanzkreis zu beschaffen (S. 6). Insofern ist der (netto) Zusatznutzen des KKM-D, z.B. im Vergleich zu einem "Anspitzen" des Ausgleichsenergiesystems (deutlich schneller umsetzbar und weniger komplex), nicht unmittelbar offensichtlich. Hierbei sei auch auf die Erfahrungen aus Frankreich hingewiesen, wo derzeit aufgrund hoher Komplexität und geringer Effektivität für die Beanreizung von Neuanlagen im dezentralen Mechanismus erwogen wird auf einen zentralen Kapazitätsmarkt zu wechseln.
Kommt es zu einer Verzerrung zu Gunsten von flexibler Last? Ein hervorgehobener Vorteil des KKM ist eine bessere Einbeziehung von dezentralen Lastflexibilitäten in den
Systemspitzenzeiten (Selbsterfüllung). Allerdings scheinen sich die Autoren in diesem Punkt selbst nicht ganz sicher zu sein, denn es wird weiterhin erwogen, auch Lastflexibilitäten als Kapazitätsprodukte zertifizieren und somit explizit von
Kapazitätszahlungen profitieren zu lassen statt über die Selbsterfüllung (S. 7). Zudem wird in dem Papier die Möglichkeit diskutiert, die Kosten des KKM-D über eine Umlage zu finanzieren, welche nur auf die auslegungsrelevanten Stunden des KKM-D ausgelegt
ist, um „damit zusätzliche Anreize zur Lastminimierung in diesen Stunden zu generieren“ (S. 18). Es könnte also je nach Ausgestaltung zu einer dreifachen Vermarktung kommen,
welche zu überproportionalen Investitionen in und Nutzungen von flexibler Last führen könnte. Mit anderen Worten: Es würde ineffizient häufig und viel auf Stromverbrauch –
und die damit verbundene Wertschöpfung – verzichtet, statt in kostengünstigere Erzeugungs- oder Speicheroptionen zu investieren.
Können die vermeintlichen Vorteile des dezentralen Segments nicht auch im zentralen Segment realisiert werden? Wenn der Vorteil des KKM-D primär darin besteht, Anreize für dezentrale Flexibilitätsoptionen zu schaffen, sollte man prüfen, ob dieser Vorteil nicht bereits erreicht werden kann, indem man die Umlage zur Finanzierung der zentralen Kapazitätsauktionen nur in den auslegungsrelevanten Stunden erhebt. In diesem Fall hätten Verbraucher bzw. deren Lieferanten die exakt gleichen Anreize, ihren Verbrauch in Situationen mit hoher Systemlastspitze zu reduzieren. Allerdings könnte auf den dezentralen Zertifikatshandels verzichtet werden. 

Führt die hohe Komplexität des kombinierten Systems zu hohen Kosten und zeitlicher Verzögerung? Ein Kapazitätsmechanismus ist per se ein komplexes
Instrument mit vielen abzustimmenden Elementen und Parametern (Festlegung von DeRatingfaktoren für Technologien, Monitoring der Verpflichteten, Aufbau von
Zertifikatesystemen, Finanzmarktregulierung, Bestimmung der erforderlichen Vertragsmengen/Leistungen,…). Das zeigt die weltweite Erfahrung mit Kapazitätsmechanismen, sowohl für zentrale als auch insbesondere für dezentrale
Kapazitätsmechanismen. Die Kombination beider Varianten erhöht die Komplexität noch einmal erheblich (siehe Beispiele oben). Zudem ist eine solche Kombination bisher
unseres Wissens weltweit noch nicht praktisch erprobt. Es besteht daher ein erhebliches Risiko von Ausgestaltungsfehlern und „Kinderkrankheiten“. Die Neuartigkeit dürfte auch die beihilferechtliche Notifizierung in Brüssel erschweren und in die Länge ziehen. Eine Umsetzung des Konzepts bis 2028, wie von der Bundesregierung angestrebt, erscheint entsprechend herausfordernd.

Frontier Economics beschäftigt sich als eine der führenden ökonomischen Beratungen in Europa seit vielen Jahren regelmäßig mit Fragen des Strommarktdesigns in Deutschland und vielen weiteren Ländern Europas. Melden Sie sich bei Fragen oder Diskussionsbedarf gerne.

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